Die Geschichte des Stiftungssitz am Sommerberg
Villa Schulz
1907/08 ließen der Frankfurter Industrielle Joseph Beyer und seine Frau Frida, an der Straße nach Neudorf eine imposante Villa aus Sandstein errichten.
Die Pläne für das Haus hatte der bekannte Architekt Max Seckbach (1866-1922) entworfen, der nicht nur in seiner Heimatstadt Frankfurt etliche außergewöhnliche Gebäude errichtete, sondern besonders durch seine Synagogenbauten, wie z. B. in Homburg, Weinheim, Memmingen oder Luzern, auf sich aufmerksam machte. Seckbach und Beyer hatten zeitgleich an der Technischen Hochschule Darmstadt studiert und waren zur Zeit des Villenbaus beide als Unternehmer in Frankfurt tätig.
Seine Villa – für eine vierköpfige Familie eigentlich etwas überdimensioniert – galt als offenes Haus, in dem mit großer Gastfreundschaft regelmäßig illustre Persönlichkeiten begrüßt wurden. Industrielle, Künstler und Kunstfreunde waren unter ihnen, aber auch Gelehrte und ehemalige Studiengenossen. Dass der unterhalb des Anwesens vorbeiführende Weg noch heute den Namen „Philosophenweg“ trägt, zeigt, mit welch respektvoller Aufmerksamkeit die Amorbacher seinerzeit die Gäste von Joseph Beyer und den benachbarten Villenbesitzern beäugten.
Im Laufe der 1920er-Jahre haben sich Beyers finanzielle Verhältnisse offenbar drastisch verschlechtert. Man kann wohl die Inflation von 1923 als Ursache ansehen. In einem ersten Rettungsversuch verpachtete er im Oktober 1924 das auf seinem Areal befindliche Gärtnerhaus. Die Pachteinnahmen reichten aber anscheinend nicht aus, um die Villa und den damit einhergehenden Lebensstil dauerhaft finanzieren zu können.
Das gesamte Anwesen mit weiteren Ländereien wurde am 4.5.1926 zunächst von der Stadt Amorbach gekauft; mit Vertrag vom 12.6.1926 veräußerte sie es an den Fürsten zu Leiningen weiter. Nach einer Renovierung bezog Prinz Karl zu Leiningen zusammen mit seiner Frau Maria Kirillowna die Villa am Sommerberg.
Aus der „Villa Beyer“ wird die „Villa Derfflinger“
Schon 1928 wird das Anwesen in einem Schreiben der Fürstlichen Generalverwaltung als „Villa Derfflinger“ betitelt. Der außergewöhnliche Name geht zurück auf Georg von Derfflinger, der im 17. Jahrhundert Kurfürstlich-Brandenburgischer Feldmarschall war. Nach ihm wiederum wurde die „SMS Derfflinger“, ein 1914 in Dienst gestellter Schlachtkreuzer der Kaiserlichen Marine, benannt. Auf diesem Schiff leistete Prinz Karl zu Leiningen den größten Teil seiner Dienstzeit während des 1. Weltkrieges. Nach dem Tod von Fürst Emich zu Leiningen (18.07.1939) wurde Karl zum sechsten Fürst zu Leiningen ernannt. Als solchem stand ihm nun das Palais neben der Pfarrkirche als Wohnsitz zur Verfügung, weshalb die Villa Derfflinger verlassen wurde.
Nutzung der Villa als Unterkunft für Umsiedler
1940-1944 diente die leerstehende Villa Derfflinger als Unterkunft für Umsiedler, sogenannten Reichs- und Volksdeutschen aus dem Ausland, aus Bessarabien (heute Republik Moldau/Ukraine) und der Dobrudscha (heute Rumänien/Bulgarien).
Nutzung als Altersheim
Ab dem 05.10.1945 wurde die Villa Derfflinger zum Wohnsitz für bis zu 40 Senioren. Amorbachs erstes Altersheim wurde bis 1973 von den Erlöserschwestern geführt und mit der Eröffnung des Neubaus des Kreisaltenheims im August 1976 abgelöst.
Die Villa im Besitz der Familie Schulz
Nach dem Auszug der letzten Altenheimbewohner musste für das imposante Haus am Sommerberg eine neue Nutzung gesucht werden. Das Fürstenhaus zu Leiningen entschied sich für den Verkauf der Villa und im Laufe des Jahres 1977 hatte sich bereits ein Interessent gefunden, der Fabrikant Joachim Schulz und seine Frau Susanne Everth-Schulz kauften die Villa Derfflinger mit ihrer Wohnfläche von etwa 350 m². 1978 zog das Ehepaar vom Firmensitz der Aurora in Mudau nach Amorbach in die Neudorfer Straße. Die adäquate Ausstattung und Möblierung des weitläufigen Hauses verschaffte der kunstsinnigen Familie die Möglichkeit, für ihre außergewöhnlichen Antiquitäten und Gemälde, einen würdigen und stimmigen Platz zu finden.
Das kinderlose Ehepaar lebte bis zu seinem Tod in der Villa Derfflinger. Joachim Schulz verstarb im Alter von 89 am 26.01.2010 (*26.06.1920), Susanne fünf Jahre später am 13.08.2015 (*07.07.1920). Mit dem Tod von Everth-Schulz stand die 2010 gegründete Stiftung vor einer großen Herausforderung, es musste entschieden werden, ob und wie es mit dem Stiftungssitz weitergehen soll. 2016 wurde nach reiflicher Überlegung der Entschluss gefasst, die Villa im Stiftungsbesitz zu belassen und entsprechend den künftigen Vorhaben zu sanieren: Kunst-, Musik- und Literatur-Veranstaltungen sollten zukünftig in der Villa stattfinden und damit den Interessen von Susanne Everth-Schulz gerecht werden. Während sich das in 2014 gestartete MINT-Bildungsprojekt expirius in Vor- und Grundschulen etablierte, wollte man das angrenzende Kutscherhaus zu einem außerschulischen Lernort für MINT-Interessierte umgestalten. Eigenständiges Forschen und Experimentieren soll für Schüler der weiterführenden Klassen hier als Freizeitbeschäftigung möglich werden, ganz im Sinne des Tüftlers Joachim Schulz.
Bildergalerie | Villa Schulz
Von der „Villa Derfflinger“ zur „Villa Schulz“
In einer feierlichen Eröffnung am 1. Oktober 2021, dem Tag der Stiftungen, wurde die liebevoll sanierte und bis dahin betitelte Villa Derfflinger offiziell zur Villa Schulz umbenannt und dient seither als Stiftungssitz und Veranstaltungsort für gemeinnützige Zwecke in der Region um Amorbach und Mudau. Erziehung & Bildung, Kunst & Kultur, Sport & Soziales, Natur- & Umweltschutz, Wissenschaft & Forschung – mit der Villa Schulz ist ein Ort entstanden, der all diesen Bereichen ein Zuhause gibt.
Bildergalerie | VORHER (bis 2016) und NACHHER (ab 2021)